Einerseits findet Quiet Quitting statt. Andererseits arbeiten viele, während sie krank sind, wie eine aktuelle Datenanalyse der Techniker Krankenkasse (TK) offenlegt.

Es ist vermeintlich paradox, dass Angestellte dem Trend des Quiet Quittings nachgehen und in den letzten Monaten und Jahren die Arbeitsleistung herunterschraubten, während es immer noch viele Arbeitnehmer gibt, die im kranken Zustand ihre Jobs erledigen. Nur „vermeintlich“, weil Quiet Quitting auch eine logische Konsequenz des sogenannten Präsentismus sein könnte. Auf die eine Extreme folgt die nächste Extreme, wodurch deutlich wird: Etwas muss sich ändern.

Definition: Was ist Präsentismus?

Präsentismus beschreibt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) als etwas Modernes: eine Erscheinung unserer heutigen Berufs- und Arbeitswelt. Wir gehen unserer Arbeit nach, obwohl wir uns hätten krankschreiben lassen können. Präsentismus benennt somit das häufig vorkommende Phänomen des „Arbeitens trotz Erkrankung“.

In einer aktuellen TK-Studie wird deutlich, dass das Verhalten vor allem auf Menschen zutrifft, die häufiger im Homeoffice arbeiten. Damit wird der Zusammenhang zwischen Präsentismus und der modernen Arbeitsweise von Beschäftigten besonders transparent: 46 Prozent der Umfrageteilnehmer arbeiten im heimischen Büro, obwohl sie sich eigentlich krank fühlen. Präsentismus ist aber nicht nur im Homeoffice zu beobachten. Auch Führungskräfte und Mitarbeiter, die auf der Arbeit erscheinen, obwohl sie beispielsweise Schmerzen haben oder krank sind, sind keine Seltenheit.

Warum gehen wir krank zur Arbeit?

Den Ergebnissen der TK-Studie nach zu urteilen, sind die Gründe für Präsentismus vielfältig. Bei 80 Prozent sind aber vor allem folgende Begründungen als Leitmotiv zu beobachten. Sie wurden besonders häufig genannt:

  1. Nicht nur Belastung für andere werden: Die Studienteilnehmer gaben an, dass sie krank arbeiten, damit sie ihrem Team durch den Ausfall nicht zur Last fallen.
  2. Keine Vertretung: Dass Personalmangel herrscht, wird noch einmal daran deutlich, dass die Teilnehmer der TK-Studie angaben, krank zu arbeiten, weil keine Vertretung organisiert werden kann.
  3. Keine ansteckende Erkrankung: Sofern es sich um keine „ansteckende Krankheit“ handelt, sind viele Arbeitnehmer bereit, trotz Erkrankung arbeiten zu gehen.
  4. Wichtige Termine und Aufgaben: Der Umfrage nach gehen viele Arbeitnehmer ihrem Job trotz Krankheit nach, wenn sie wissen, dass wichtige Arbeit auf dem Tisch liegt oder Termine anstehen.
  5. Freude am Job: Spaß an der Arbeit ist ein Grund, krank zu arbeiten – auch das gaben Umfrageteilnehmer an.

Gut zu wissen: Die Studienautoren betonen, dass vor allem Schuldgefühle ein wichtiger Antriebsmotor sind, um trotz Krankheit arbeiten zu gehen. Nicht selten steckt dahinter ein toxisches Führungsverhalten. Das lässt darauf schließen, dass hinter „Spaß an der Arbeit“ nicht zwangsläufig echte Freude stecken muss. Vielmehr kann es sich hierbei um ein Phänomen handeln, welches zur inneren Ermutigung dient, um sich gut zuzureden; heißt: Manchmal neigen wir dazu, unseren Präsentismus zu beschönigen und arbeiten zu gehen, um kein schlechtes Gewissen aushalten zu müssen, wenn wir aufgrund einer Erkrankung einfach im Bett bleiben.

Ein weiterer möglicher Grund: Aus Angst vor harten Konsequenzen gehen wir manchmal trotz Krankheit arbeiten. Wer seinen Arbeitsplatz nicht verlieren will, aber unter Druck gesetzt wird, neigt ebenfalls dazu, um jeden Preis auf der Arbeit zu erscheinen. Auch wenn es die Gesundheit kostet.

Präsentismus ist schädlich für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Obwohl die Gründe für den Präsentismus plausibel und nachvollziehbar klingen, tun Führungskräfte, die zu einem solchen Verhalten neigen – rund 21 Prozent nehmen Medikamente ein, um trotz Erkrankung ihrem Job nachzugehen – und Mitarbeiter sich keinen Gefallen. Denn der „Trend“, wenn man ihn so nennen will, ist gefährlich: Ältere Generationen, zu denen beispielsweise die Babyboomer zählen, werden nicht umsonst häufig als echte Workaholics bezeichnet. Bereits in dieser Generation zeigte sich jedoch, dass zu viel Arbeit auch viel Krankheit hervorbringt. Top-Manager in wichtigen Positionen, die sich überarbeiten, setzten sich schon immer der Gefahr eines Herzinfarktes aus.

Die schädlichen Folgen des Präsentismus:

1. Motivations- und Produktivitätsverlust

Ob Migräne, Rückenleiden oder Schmerzen in den Gelenken: Es ist egal, welche Art von Erkrankung wir haben – oft schränkt sie uns in unserer Produktivität am Arbeitsplatz ein. Körperliche Erkrankungen wirken sich auch auf die Psyche aus, sodass sie im Job zu einer doppelten Belastung werden. Arbeitgeber müssen mit einem Abfall der Produktivität rechnen, während Arbeitnehmer zunehmend unter fehlender Motivation und Kraft leiden.

2. Risiken in Sachen Arbeitssicherheit

Präsentismus kann das Risiko für Arbeitsunfälle erhöhen. Gehen wir in einem kranken Zustand zur Arbeit, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass wir körperlich/mental vorbelastet sind. Das sind die „optimalen“ Voraussetzungen für Missgeschicke und Unglück im Job, beispielsweise bei der Arbeit mit Werkzeugen, während der Zusammenarbeit mit anderen Menschen und Kollegen oder in Situationen, die ohnehin gefährlich sind und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und eine einwandfreie Gesundheit voraussetzen.

3. Gefahr, dass Krankheiten sich chronifizieren

Wer sich nicht richtig auskuriert, muss mit einer Chronifizierung rechnen. Ruhen wir uns nur ungenügend aus, wenn wir krank sind, ist es wahrscheinlich, dass sich alles noch mehr in die Länge zieht. In besonders harten Fällen fallen Arbeitskräfte komplett aus – sie werden arbeitsunfähig, weil sie sich von ihrer Erkrankung nicht mehr erholen können.

4. Mitarbeiter können sich anstecken

Die gute Nachricht: Seit der Pandemie haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein neues Bewusstsein für die Gefahr der Ansteckung von Krankheiten entwickelt. Insgesamt sind wir also vorsichtiger geworden. Dennoch ist Präsentismus eine Gefahr, wenn Mitarbeiter zum „business as usual“ übergehen und – trotz Ansteckungsgefahr – auf der Arbeit erscheinen. Auch das ist ein bedeutendes Risiko des Phänomens.

Wie können Arbeitgeber Präsentismus unterbinden?

Gesundheit ist definitiv und berechtigterweise keine Privatangelegenheit. Sie geht Arbeitgeber etwas an und deshalb ist es Führungsaufgabe, hier etwas zu verändern und gesunde Rahmenbedingungen für die Belegschaft zu erschaffen. Wichtig ist, dass Arbeitgeber einen Schritt auf ihre Mitarbeiter zugehen und einen klaren Status quo etablieren, welcher keinen Platz für eine (wortwörtlich) krankmachende Präsentismuskultur lassen.

Das bedeutet: Niemand muss sich schlecht fühlen, wenn eine Erkrankung vorliegt. Auch Führungskräfte melden sich krank – und die Belegschaft muss das wissen, weil Transparenz besonders wichtig ist und zu einem Umdenken ermutigen kann.

Es kommt häufig vor, dass krankmachende Strukturen sich verselbstständigen. Ein gutes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BMG) ist ein wesentlicher Baustein, um Präsentismus zu unterbinden. Das bedeutet, dass es einer systematischen und strukturierten Steuerung bedarf, interne Abläufe und Prozesse so zu gestalten, dass sie Mitarbeitern förderlich sind – und ihnen nicht im Weg stehen oder sie gar zu Präsentismus ermutigen.

Fazit

Wer krank zur Arbeit geht, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch seine Mitmenschen im Job. Das Risiko der Chronifizierung von Krankheiten steigt massiv an. Dennoch neigen viele Arbeitnehmer dazu, sich immer noch mit Schmerzen und laufender Nase ins Büro zu schleppen. Weil die zuvor harten Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben immer stärker aufweichen, und das ist auch ein Phänomen der Neuzeit, ist Präsentismus die logische Konsequenz: Wir arbeiten nebenher, vielleicht von zu Hause aus und erledigen krank „eben mal“ den Job.

Fördert eine krankmachende Arbeitskultur den Präsentismus, verwundert der Trend Quiet Quitting deshalb nicht. Ein Trend, der dazu ermutigt, nur das Minimum zu erledigen und pünktlich nach Hause zu gehen. Dennoch demonstriert auch das leise Kündigen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Beide Phänomene zeigen: Etwas ist nicht okay – und Veränderung unweigerlich notwendig.

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